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Europa: Ehemalige Geheimdienstler aus den USA erwarten von Merkel mehr Rückrat

Offener Brief an Angela Merkel
Ehemaliger NSA-Direktor und ehemalige Mitarbeiter der US Geheimdienste schreiben offenen Brief an Angela Merkel, um einen Großkrieg durch die Entwicklung in der Ukraine zu verhindern

Alarmiert durch die antirussische Hysterie in Washington und die Aussicht eines neuen kalten Krieges hat eine Gruppe von amerikanischen ehemaligen Mitarbeitern der Geheimdienste den ungewöhnlichen Schritt unternommen, den folgenden Brief vom 30. August 2014 an die deutsche Bundeskanzlerin Merkel zu schreiben, in dem die Zuverlässigkeit von Berichten in ukrainischen und amerikanischen Medien in Zweifel gezogen wird.

 

Memorandum an: Angela Merkel, Kanzlerin von Deutschland
Von: Veteran Intelligence Professionals for Sanity (VIPS) (USA)
Betreff: Ukraine and NATO (USA)

Wir, die Unterzeichnenden, sind langjährigen Mitarbeiter der US-Geheimdienste. Wir unternehmen diesen ungewöhnlichen Schritt, Ihnen diesen offenen Brief zu schreiben, um Sie vor dem NATO-Gipfel am 4. und 5. September über unsere Sichtweise zu unterrichten. Sie sollten beispielsweise wissen, dass die Anschuldigungen einer großen russischen "Invasion" der Ukraine offensichtlich nicht durch zuverlässige Quellen bestätigt werden können. Die vorgelegten Berichte scheinen stattdessen dieselbe zweifelhafte, politisch beeinflusste Qualität zu haben wie die gefälschten Berichte, mit denen vor 12 Jahren der von den USA geführte Angriff auf den Irak gerechtfertigt werden sollte. Damals wurden keine glaubwürdigen Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak vorgelegt. Heute werden keine glaubwürdigen Beweise für eine russische Invasion vorgelegt. Vor 12 Jahren war der damalige Kanzler Schröder sich der Zweifelhaftigkeit der angeblichen Beweise für Massenvernichtungswaffen im Irak bewusst und er verweigerte die Teilnahme am Angriff auf den Irak. Unserer Meinung nach sollten Sie den Beschuldigungen seitens des US-Außenministerium und der NATO-Vertreter über eine russische Invasion der Ukraine skeptisch gegenüberstehen.

Präsident Obama versuchte gestern, die Rhetorik seiner führenden Diplomaten und der Massenmedien abzuschwächen, indem er öffentlich die neuesten Aktivitäten in der Ukraine als "Fortsetzung dessen, was seit Monaten abläuft, nicht wirklich eine Veränderung" beschrieb.

Obama hat jedoch nur wenig Kontrolle über die politischen Entscheider in seiner Verwaltung - die leider wenig von der Geschichte verstehen, nur wenig vom Krieg wissen und antirussische Beschimpfungen mit Politik verwechseln. Vor einem Jahr haben militaristische Beamte des Außenministeriums und ihre Freunde bei den Medien Obama fast soweit gebracht, dass er einen großen Angriff auf Syrien gestartet hätte, und wieder stellte sich heraus, dass die Berichte zur Begründung mindestens zweifelhaft waren.

Besonders wegen der zunehmenden Wichtigkeit und der offensichtlichen Verwendung von unserer Ansicht nach fadenscheinigen Geheimdienstberichten als Entscheidungsgrundlage glauben wir, dass sich die Gefahr eines Ausdehnens von Feindseligkeiten über die Grenzen der Ukraine hinaus in den letzten paar Tagen beträchtlich vergrößert hat. Noch wichtiger ist aber, dass wir glauben, dass diese Entwicklung verhindert werden kann, abhängig vom Grad der besonnenen Skepsis, die Sie und andere europäische Führer zum NATO-Gipfel in der nächsten Woche mitbringen.

Erfahrung mit der Unwahrheit

Wir hoffen, dass Ihre Berater Sie an wechselvolle Geschichte der Glaubwürdigkeit des NATO-Generalsekretärs Rasmussen erinnert haben.Wir haben den Eindruck, dass Rasmussens Reden in Washington entworfen werden. Dies wurde klar erkennbar, als Rasmussen als damaliger dänischer Premierminister einen Tag vor Beginn der US-geführten Invasion des Iraks seinem Parlament erzählte: "Irak hat Massenvernichtungswaffen. Wir glauben das nicht nur, wir wissen es."

Ein Bild kann mehr als Tausend Worte sagen, aber es kann auch trügen. Wir haben beträchtliche Erfahrungen im Sammeln, Analysieren und Präsentieren aller Arten von Satelliten- und anderer Aufnahmen sowie anderer Arten von Erkenntnissen. Es ist unnötig, zu betonen, dass die von der NATO am 28. 8 veröffentlichten Aufnahmen eine schwache Basis bieten, um Russland einer Invasion der Ukraine zu beschuldigen. Traurigerweise erinnern sie an die Aufnahmen, die Colin Powell der UNO am 5.2.2003 präsentierte, und mit denen ebenfalls nichts bewiesen wurde.

Am gleichen Tag warnten wir Präsident Bush, dass unsere früheren Kollegen und Analysten zunehmend besorgt über die Politisierung der Geheimdienste seien, und wir sagten ihm geradeheraus, dass Powells Präsentation keinesfalls einen Krieg rechtfertigen würde. Wir drängten Herrn Bush zur Verbreiterung der Diskussion über den Kreis der Berater hinaus, die klar auf einen Krieg eingestellt waren, für den wir keinen überzeugenden Grund sahen und dessen unbeabsichtigte Konsequenzen wir als katastrophal betrachteten.

Schauen Sie sich den heutigen Irak an: Schlimmer als katastrophal. Obwohl Putin bisher eine bemerkenswerte Zurückhaltung zu dem Konflikt in der Ukraine gezeigt hat, geziemt es sich für uns, daran zu erinnern, dass auch Russland zu "Shock and Awe" in der Lage ist. Wir sind der Meinung, wenn es nur die geringste Gefahr gibt, dass wegen der Ukraine (ein solcher Krieg) in Europa stattfinden könnte, müssen nüchtern denkende Staatsführer dies sehr sorgfältig durchdenken.

Falls die von der NATO und den USA vorgelegten Fotos die besten verfügbaren "Beweise" für eine russische Invasion sind, wird unser Verdacht bestärkt, dass umfangreiche Vorarbeiten geleistet werden, um für den NATO-Gipfel Argumente zu untermauern, dass dieser Gipfel Aktionen beschließen möge, die Russland als Provokation empfinden würde. Ausschluss der Gewährleistung ist ein Begriff, mit dem Sie sicher vertraut sind. Der Hinweis möge genügen, dass man sehr vorsichtig bei dem sein sollte, was Rasmussen oder sogar Außenminister Kerry feilbieten.

Wir sind zuversichtlich, dass Ihre Berater Sie über die Krise in der Ukraine seit Anfang 2014 auf dem Laufenden gehalten haben, und dass die Möglichkeit einer Aufnahme der Ukraine in die NATO dem Kreml ein Greuel wäre. In einem von Wikileaks veröffentlichten Bericht der US-Botschaft in Moskau an die Außenministerin Condoleeza Rice wurde mitgeteilt, dass Botschafter Burns zum russischen Außenminister Lawrow vorgeladen wurde und dieser die starke Ablehnung Russlands zu einer NATO-Mitgliedschaft der Ukraine erläuterte.

Lawrow machte sehr klar, dass befürchtet wurde, dass das Problem die Ukraine möglicherweise aufteilen könnte und zu Gewalt oder sogar Bürgerkrieg führen könnte, wobei Russland über ein Eingreifen entscheiden müsse. Burns gab seinem Bericht den ungewöhnlichen Titel: NJET heißt NJET. Russlands rote Linien zur NATO-Vergrößerung, und sendete den Bericht mit HÖCHSTER Priorität an Washington. Zwei Monate später ließen die NATO-Führer auf dem Gipfel in Bukarest formell erklären, dass Georgien und die Ukraine Mitglieder der NATO werden würden.

Erst gestern ließ der ukrainische Premierminister Yatsenyuk auf seiner Facebook-Seite mitteilen, dass mit der von ihm angeforderten Zustimmung des Parlaments der Weg zur NATO-Mitgliedschaft offen sei. Yatsenyuk war natürlich nach dem Staatsstreich im Februar in Kiew Washingtons Favorit für das Amt des Premierministers. "Yats ist es", sagte Staatssekretärin Victoria Nuland schon Wochen vor dem Staatsstreich in einem abgehörten Telefonat mit dem US-Botschafter in der Ukraine. Sie werden sich erinnern, dass aus dieser Unterhaltung die Worte "Fuck the EU" bekannt wurden.

Timing der russischen "Invasion"

Noch vor ein paar Wochen ließ die Ukraine verlautbaren, dass die ukrainischen Kräfte die Oberhand bei der Bekämpfung der Separatisten in der Ostukraine hätten, und es wurde als Aufräumaktion dargestellt. Aber diese Darstellung stammte fast ausschließlich aus offiziellen Regierungskreisen in Kiew. Es gab nur wenige Berichte direkt aus der südöstlichen Ukraine. Es gab jedoch einen mit einem Zitat von Poroschenko, der Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Regierungsdarstellung aufkommen ließ.

Gemäß der Pressestelle des ukrainischen Präsidenten hat Poroschenko am 18. 8. zu einer Neugruppierung der ukrainischen Militäreinheiten in der Ostukraine aufgerufen. "Heute müssen wir unsere Truppen neu ausrichten, die weiterhin unser Territorium verteidigen und weiterhin Angriffe durchführen werden. Wir müssen einen neuen Militäreinsatz unter neuen Umständen in Betracht ziehen", sagte Poroschenko.

Falls diese "neuen Umstände" erfolgreiches Vorankommen der ukrainischen Regierungstruppen bedeuten sollten, warum wäre es dann erforderlich, die Truppen neu zu gruppieren? Zur gleichen Zeit begannen Zeugen vor Ort von einer Reihe erfolgreicher Angriffe von Separatisten gegen die Regierungstruppen zu berichten. Diesen Berichten nach hatten die Regierungstruppen heftige Verluste und mussten sich zurückziehen, aufgrund von Unterlegenheit und schlechter Führung.

Zehn Tage später, als die Regierungstruppen eingekreist waren oder sich zurückgezogen hatten, wurde eine russische Invasion als Entschuldigung genannt. Genau dann wurden die unscharfen Fotos der NATO und von US-Reportern wie Micheal Gordon veröffentlicht, um das Gerücht zu verbreiten, die Russen kämen. (Michael Gordon war einer der entsetzlichsten Propagandisten für den Irak-Krieg)

Keine Invasion, aber umfangreiche andere Unterstützung durch Russland

Die Separatisten in der südöstlichen Ukraine erfreuen sich einer beträchtlichen Unterstützung der Bevölkerung, was auch an den Artillerieangriffen auf dicht bevölkerte Gebiete liegen dürfte. Und wir glauben, dass es über die Grenze hinweg wahrscheinlich Unterstützung durch Russland gab, einschließlich hervorragender Aufklärung für das Schlachtfeld. Aber im Moment ist es überhaupt nicht klar, dass dazu auch Panzer und Artillerie gehören, hauptsächlich, weil die Separatisten besser geführt waren und überraschende Erfolge beim Kampf gegen die Regierungstruppen hatten.

Gleichzeitig haben wir kaum Zweifel daran, dass die russischen Panzer kommen werden, wenn die Separatisten sie brauchen werden.

Und genau das ist der Grund, warum die Situation eine konzertierte Anstrengung für einen Waffenstillstand erfordert, der von Kiew bisher verzögert wurde. Was ist in dieser Situation zu tun?

Unserer Ansicht nach muss Poroshenko und Yatsenyuk ganz klar gesagt werden, dass eine Mitgliedschaft in der NATO nicht in Frage kommt - und dass die NATO keinen Stellvertreterkrieg gegen Russland führen wird - und besonders nicht zum Unterstützen der Lumpenarmee der Ukraine. Anderen Mitgliedern der NATO muss das ebenfalls gesagt werden.

Für die Steering Group, Veteran Intelligence Professionals for Sanity

  •     William Binney, former Technical Director, World Geopolitical & Military Analysis, NSA; co-founder, SIGINT Automation Research Center (ret.)
  •     David MacMichael, National Intelligence Council (ret.)
  •     Ray McGovern, former US Army infantry/intelligence officer & CIA analyst (ret.)
  •     Elizabeth Murray, Deputy National Intelligence Officer for Middle East (ret.)
  •     Todd E. Pierce, MAJ, US Army Judge Advocate (Ret.)
  •     Coleen Rowley, Division Counsel & Special Agent, FBI (ret.)
  •     Ann Wright, Col., US Army (ret.); Foreign Service Officer (resigned)

Für den Originalartikel auf Englisch klicken Sie bitte hier.
 

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